PRO: Theo Geers

Soziales auf ein Minimum beschränken

geers21.jpgDer ehemalige Brüssel-Korrespondent des Deutschlandfunk ist heute Leiter der Wirtschaftsredaktion des Kölner Informationssenders.

Selbstverständlich muss sich die EU auf die Globalisierung einstellen. Dies darf aber nicht heißen, unter dem populistischen Deckmäntelchen eines sozialen Europas dem Wettbewerbsdruck mit immer neuen und im Zweifel viel zu hohen sozialen Standards hinterher zulaufen.

Auch die EU darf einen Grundsatz nicht übersehen: Alle Steuern und Abgaben, die zur Finanzierung einheitlicher Standards erhoben werden, müssen vorher erst einmal verdient worden sein. Und das möglichst  leicht. Die EU sollte sich im Sozialbereich deshalb auf das absolute Minimum beschränken. Neue oder höhere, in jedem Fall aber teurere Sozialleistungen kann ja jeder Mitgliedsstaat gemäß seinen finanziellen und auch demographischen Verhältnissen auf eigenes Risiko einführen. Europa als Ganzes kann sich so etwas nicht leisten.

Selbst 2006 mangelte es noch an wirtschaftlicher Dynamik: Die Weltwirtschaft wuchs um über fünf Prozent, das Wachstum in der EU lag dagegen nur bei gut 2,5 Prozent. Dies zeigt: Die Europäische Union hat nicht die Aufgabe, alles über einen Kamm zu scheren und Beschlüsse zu fassen, die nur darauf hinauslaufen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verringern.

Hauptaufgabe der EU kann es nicht sein, neue Standards festzuschreiben, sondern entweder vorhandene Märkte noch weiter zu öffnen oder aber neue Märkte zu schaffen.

Das ist im Zeitalter der Globalisierung ein probateres Mittel gegen Unternehmensflucht und Arbeitsplatzabbau als der Ausbau eines Sozialmodells, das im Zweifel nur von der individuellen Eigenverantwortlichkeit ablenkt.

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CONTRA: Von Petra Pinzler

Europa für mehr Soziales nutzen

pinzler21.jpgDie Autorin ist Korrespondentin der Wochenzeitung "Die Zeit" in Brüssel.

Was verbindet uns Europäer? Was trennt uns von anderen? Klar, die gemeinsame Geschichte, aber daneben doch vor allem ein Wunsch: Wir wollen ein Mindestmaß an sozialer Wärme, an sozialen Standards.

Wir Europäer wollen keinen Nachtwächter, sondern einen Sozialstaat. Warum nutzen wird dann nicht Europa für mehr Soziales - und um die Globalisierung besser zu meistern?

Wir müssen ja nicht gleich die Sozialunion schaffen, von der der Luxemburger Regierungs-Chef Jean-Claude Juncker träumt. Aber machen wir doch Schluss mit dem dämlichen Wettbewerb beim Abbau unserer Sozialsysteme. Lasst uns gemeinsame Mindeststandards finden. Hören wir auf, uns im Steuerwettbewerb gegenseitig die Staatskassen zu leeren - und die Konzerne für die Verlagerung von Betrieben in das jeweils billigste Land zu belohnen. Schaffen wir ein Europa, das sich um die Sorgen der Menschen kümmert.

Und die Chinesen? Immer wenn jemand von Sozialpolitik spricht, argumentieren Marktfetischisten mit Bedrohungen. Immer ist irgendjemand irgendwo irgendwie billiger. Immer sollen wir Löhne, Sozialstandards und Ansprüche senken. Das war nie anders. Falsch war es immer, ist es heute: Das Wachstum Asiens ist kein Argument gegen die EU-Sozialpolitik. Im Gegenteil. Nur gemeinsam werden wir Chinesen und andere Billiganbieter zu Mindestnormen im Sozialen oder im Umweltschutz drängen können. Nur gemeinsam hat Europa in der globalen Welt eine Stimme.

Was wollen wir: Die EU als puren Binnenmarkt? Dafür brauchen wir keine Steuern zahlen. Das schafft die Globalisierung billiger. Wir könnten mit der EU aber auch die Welt gestalten. Wie das geht, hat das Kyoto-Protokoll gezeigt: Ohne Europa gäbe es im Klimaschutz keine internationale Kooperation.

Anfangen müssten wir indes zuhause. So wie die Nationalstaaten einst unter schweren Geburtswehen die Sozialversicherung schufen, so müssen wir Europa als eine soziale Union neu erfinden. Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte diese Debatte während der deutschen Ratspräsidentschaft anstoßen. Einen Versuch wert wäre das allemal.

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