PRO: 2. Runde Adam Krzeminski

"Die EU gerinnt zu einer politischen Entität"

Der Euroblog des Deutschlandfunk erinnert ein wenig an die Scholastik der Religionsdispute. Welcher Glaubenssatz ist der richtige und welcher des Teufels? Die Skeptiker behaupten, Europa wäre und bleibe seit eh und je sprachlich, kulturell und wirtschaftspolitisch zu vielfältig, um mit einer Stimme zu reden. Ergo: Ein glühender Europäer müsse, schon um einen "Einheitsbrei" zu verhindern, gegen eine politische Union sein. Ein aufgesetzter Euro-Patriotismus sei sowieso unmöglich.

Ihre optimistischeren Widersacher entgegnen, dass nach dem Desaster der beiden Weltkriege, die von diesem Kontinent ausgingen, die Europäer ohnehin keine Chance mehr haben, den globalen Herausforderungen getrennt Paroli zu bieten. Sie möchten möglichst bald einen von allen EU-Bürgern direkt gewählten EU-Präsidenten und eine effiziente gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik haben.

Trotz der Heftigkeit ist es kein Religionsstreit.

In Wirklichkeit pendeln sich die gegensätzlichen Positionen doch ein. Die besten Lehrstücke dafür sind sowohl die schrittweise Annäherung der EU-Staaten an eine kohärente Russlandpolitik als auch die Suche nach einem schlüssigen Ausweg aus der EU-Verfassungskrise. Man kann darüber streiten, ob Polen in angemessener Form von seinem Veto-Recht bei dem neuen EU-Russland-Partnerschaftsvertrag Gebrauch gemacht hat. Jedenfalls hat man so erreicht, dass die russischen Schikanen gegenüber den neuen EU-Ländern (das willkürliche Einfuhrverbot für polnisches Fleisch nach Russland ist dafür nur ein Beispiel unter vielen) zur Chefsache der EU-Länder wurden. Das heißt, die EU wurde an das Musketier-Prinzip "Einer für alle, alle für einen" erinnert.

Zugleich bewegen sich - zaghaft, aber immerhin - die nationalkatholischen Politiker Polens (die noch im Wahlkampf 2005 strikt gegen die EU-Verfassung votierten) auf eine konstruktive Lösung der Verfassungskrise zu.

 Europa ist (und bleibt) vielfältig, und in allen EU-Staaten kommen gerade infolge der Osterweiterung nationale Interessen und Egoismen erneut stark zur Geltung. Dennoch gerinnt die EU ganz allmählich zu einer politischen Entität. Allen Skeptikern zum Trotz.

 Thesen 1. Runde "Mit oder ohne gemeinsame Außenpolitik?"

kaz.jpgDer Autor ist Kommentator der polnischen Wochenzeitung "Polityka".
CONTRA: 2. Runde Thomas Kielinger

"Viel zu tun - auch außerhalb des rein Militärischen"

Im Dezember 2006 leitete ich die Antwort auf die mir gestellte Frage rundum skeptisch ein: "Nichts beschädigt das Ansehen Europas mehr, als Ziele zu setzen, die sich durch Unerreichbarkeit auszeichnen. Zum Beispiel die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, GASP genannt. Sie ist eine Chimäre. Warum ihr weiter nach jagen?"

 

So hart wie damals würde ich das heute nicht mehr formulieren, angespornt auch durch viele Reaktionen der Leser und Hörer. Gewiss, schaut man auf die internationalen Krisen der letzten Jahre, vor allem auf den militärischen Ernstfall, vom Golfkrieg I (1991) bis zum Golfkrieg II (2003ff), dann war es letztlich immer eine „Koalition der Willigen“, die sich zum Handeln bereit fand, keine institutionalisierte Gemeinsamkeit, die man verpflichtend hätte abrufen können.

Erinnern wir uns noch an den deutschen „Ohne-Michel“, der im März 1991 seine Haltung zum Krieg um die Befreiung Kuwait durch Lichterprozessionen gegen den Krieg kund tat? Wir haben aber einen beträchtlichen Lernprozess durchlaufen, in Afghanistan zum Beispiel erleiden wir wie andere Nationen Verluste unserer Soldaten und Helfer, ohne dass – was viele befürchtet hatten – Hysterie bei uns ausgebrochen wäre. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU wächst also in dem Maße, in dem jeder erkennt, dass er gemeinsam mit allen im gleichen Boot sitzt und sich vor den Risiken der Zeitgeschichte nicht drücken kann.

Und es gibt so viel zu tun außerhalb des rein Militärischen, das sich obendrein im Fall Golfkrieg II als höchst zweifelhaftes Unternehmen heraus gestellt hat, milde ausgedrückt. Auch Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik, während die Frage der Umwelt – eine Sicherheitsfrage erster Ordnung – alle Ressorts und alle nationalen Egoismen durchschneidet. Warnen möchte ich lediglich vor zu früher Verpflichtung auf den Willen zur Gemeinsamkeit dort, wo er gleichsam "noch nicht angekommen" ist. Institutionelle Festlegung kann immer nur die letzte Stufe eines Reifeprozesses sein. "Einfluss und Macht" – und hier zitiere ich meinen Schlusssatz vom Dezember – "gewinnt die EU nicht durch Möchtegern-Konstrukte der Willensbildung, sondern durch die allmähliche Einsicht, dass mehr Zusammenarbeit mehr Erfolg bedeutet." Und damit mehr Relevanz in der Weltgegenwart.

Thesen 1. Runde: "Mit oder ohne gemeinsame Außenpolitik?"

Kielinger21_01.jpgDer Autor ist Großbritannien-Korrespondent der "WELT" in London.

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