Braucht die EU eine Verfassung?


08.01.2007 - 11.03 Uhr

Es menschelt mit der Verfassung nicht

Carsten Jung

Herr Fritz-Vannahme behauptet: "Denn wir leben in einem Europa der Nationen und der Bürger". Das, meine ich, ist der fatale Irrtum Europas. Es sind doch eigentlich nur Juristen, die noch ernsthaft daran glauiben, daß ein Verfassungstext die Menschen zusammenschweißt - zumal in einem Staatengebilde, das in seiner Gesamtheit so abstrakt und widersprüchlich ist wie der europäische Kontinent.
Auch das Argument der Nachvollziehbarkeit der Gesetzesarbeit ist in meinen Augen alles andere als glaubwürdig. Längst ist die EU zu einer Diktatur der Bürokraten geworden, in der nicht die wenigen gewählten Greminen das Argument führen, sondern in der ein äußerst mächtiger Beamtenapparat den Nachweis vollzieht, daß es das Prinzip des Perpetuum mobile in seinem Bereich tatsächlich gibt.

Eine normal funktionierende Regierung erzeugt europäische Gesetze im demokratischen Sinne - dieser Zug ist längst abgefahren. Die EU hat, wie im Beitrag richtig angemerkt, längst ihre Rolle darin, unliebsame Gesetze durchzusetzen, die im nationalen Parlament nicht durchsetzbar wären. Diese Aufgabe wird der EU in absehbarer Zukunft nicht abhanden kommen. Es ist doch nahezu naiv zu glauben, eine Verfassung regele nach ihrer Verabschiedung tatsächlich den freiwilligen Machtverzicht der Staatschefs. Man läßt sich schließlich nicht deswegen mit Programmatik und Idealen national wählen, damit man all das im nächsten Zug europäisch aufgibt. Die Bürgerbefragung in Frankreich scheiterte doch genau an dieser Frage. Die völlige Aufgabe der nationalen Souveränität ist nicht das, was die meisten Menschen wollen.

Europa ist das abstrakteste Thema, mit dem man die Bürger derzeit behelligt, von dem man aber gleichzeitig verlangt, daß es menschliche Wärme versprühe. Man hat sich aber nie darum gekümmert, weil es ja eigentlich nur um eines geht: der Wirtschaft ihren Freiraum zu geben, damit alle davon profiieren. Begleitend konnte man noch Gemeinsamkeiten etwa in der Verteidigungspolitik anhängen, um Kosten zu sparen und Nutzen zu maximieren. Soweit ist das ja auch alles noch in Ordnung. Aber an das menschennahe der EU - daran fangen ja langsam selbst die dieses Thema am meisten treibenden Franzosen nicht mehr zu glauben. Es geht eigentlich nur noch darum, sich stark gegenüber Amerika und dem aufstrebenden Asien zu etablieren, mehr nicht. Da ist das von Herrn Köppel vorgeschlagene Wiederaufleben der Ideale der Hanse eine realistischere Perspektive als die träumerische Vermenschlichung der EU via Verfassung.




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