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Braucht die EU eine Verfassung?


29.01.2007 - 10.47 Uhr

Der europäische Souverän gibt sich eine Verfassung !

Horst Grützke

Ich unterstützte den Kerngedanken vieler Kommentare zum europäischen Verfassungsvertrag, sofern er mit der Kernaussage einer jeden zivilisierten Verfassung übereinstimmt: "Alle Macht geht vom Volke aus!" oder: "Das Volk ist der Souverän!"
Diese verfassungsrechtliche Prämisse - das Volk gibt sich eine Verfassung! - setzt voraus, dass das Volk - hier also die Völker der in der EU zusammengeschlossenen Staaten - vorher einen Text - wie auch immer - erarbeitet haben und ihm dann in ihrer Gesamtheit als europäische Völker zustimmen!
Nun ist es mit dem Verfassungsvertrag so eine Sache: Es ist ein Vertrag zwischen den Mitgliedsstaaten, den sie nach geltendem Recht zu unterschreiben haben. Im Gegensatz zu bisherigen hinter verschlossenen Türen ausgehandelten Verträgen, wurde dieser jetzt vorliegende Verfassungsvertrag bereits vorher im Konvent beraten. Viele gute Dinge stehen als Kernaussagen in diesem Verfassungsvertrag. Und dies, weil während der Beratung bereits Vertreter der "Mitgliedsvölker" daran beteiligt waren: sowohl gewählte Volksvertreter, die allerdings mehr ihrer Parteiideologie folgten, als auch viele Bürger, die sich über ihre Vereine und Organisatione der Zivilgesellschaft Gehör verschafften und ihre Vorstellungen von einer europäischen Verfassung dem beratenden Konvent vorlegten. Viele gute Kernaussagen wurden auch aufgenommen.
Was aber dann als Ergebnis von den Staats- und Regierungschefs unterschrieben wurde, war nur ein Kompromiss zu all den vielen Vorstellungen, wie eine europäische Verfassung aussehen sollte, mit der sich dann die Bürger identifizieren könnten. Jeder Mitgliedsstaat wollte seine Sicht auf das Europa von morgen darin verewigt sehen.

Dieser Kompromis wurde von vielen begrüßt und von vielen abgelehnt. Abgelehnt aber nicht wegen der guten, positiven Kernaussagen der Verfassung, sondern weil dieser Verfassungstext Politiken festschreiben sollte, die gar nicht in eine Verfassung gehören. Konkrete Politik wird immer von der jeweils herrschenden politischen Mehrheit gemacht. Wird sie aber bereits in einem Verfassunvertrag festgeschrieben, brauchen wir keine Wahlen mehr - dann wird Demokratie überflüssig.

Auch die anderen - zusätzlich zu den Franzosen und Niederländern - NEIN sagenden europäischen Bürger wollen diese Verfassung, weil sie in ihrem eigentlichen Verfassungstext demokratischer und fortschrittlicher ist als manch andere Verfassung in Europa. Aber eben nur den eigentlichen Verfassungstext - hier die Teile I und II - ohne die verschiedenen im Teil III festgeschriebenen Politikbereiche(Militäreinsatz, neoliberale Wirtschaftspolitik usw.), die den größten Umfang des umfangreichen Vertragstextes ausmachen. Ohne Teil III ist dieser Verfassungstext bereits für den Bürger "lesbar".

Dann mus auch dem Souverän in Europa - den europäischen Bürger - das demokratische Recht zugestanden werden, über ihre Verfassung abzustimmen.

In sofern ist die Aussage "Der Souverän gibt sich eine Verfassung" eine Einheit von erarbeiten, bestätigen und annehmen. Doch diese Form von Demokratie müssen wir wohl alle noch in Europa lernen: Sowohl die vom Bürger demokratisch gewählten Abgeordneten und die von ihnen eingesetzten Regierungen, als auch der Bürger selbst. Er darf sich nicht mit dem demokratischen Recht zufrieden geben, seine Stimme in der Urne "abzugeben" und sich dann zurücklehnen, entweder erleichtert seufzend "Lass die man das mal machen, mich interessiert das alles sowieso nicht" oder anklagend meckernd "Die da oben machen ja doch, was sie wollen!" .

Die vom vorliegenden Verfassungsentwurf bekräftigte erweiterte Demokratie gibt dem Bürger das Recht, sich neben der gewählten Politik auch noch selbst an der Macht zu beteiligen (Art. I-47), der Bürger muss dieses Recht auch wahrnehmen.

Horst Grützke
Europäisches Bürger-Netzwerk EUROPA JETZT!




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