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Braucht Europa Grenzen?


04.02.2007 - 15.30 Uhr

Die Geographie ist nicht das einzige Argument, die historisch-kulturelle Zusammengehörigkeit "der Europäer" kommt verstärkend und ausschlaggebendhinzu

Hans-Uwe Scharnweber

Weltweit wird unter den Geographen wie auch im Bewusstsein der meisten Menschen auf der ganzen Welt unstrittig zwischen Europa einerseits und Asien andererseits geographisch unterschieden, und es wird von dem eurasischen Doppelkontinent gesprochen. Wenn es auf dem eurasischen Doppelkontinent zwei verschiedene Kontinente gibt, dann müssen sie durch eine irgendwo verlaufende Grenze getrennt sein. Gibt es diese Grenze? Wieder ganz eindeutige Antwort: ja. Sie wurde vor rund 300 Jahren von dem Geographen Philip Johan von Strahlenberg auf Grund von im Auftrag des Zaren vorgenommener Vermessungsarbeiten entlang der Wasserscheide des Uralgebirges, entlang des Uralflusses und durch die Manytschniederung festgelegt und 1730 von der russischen Krone anerkannt. Diese so festgelegte Grenze ist nicht nur unter Geographen unstreitig - war es jedenfalls noch, als ich Mitte der 60-er Jahre Geographie studiert habe und es noch keine EU gab -, sondern auch im Bewusstsein des größten Teiles der Staatenwelt.
Aber das geographische Argument ist ja nicht das einzige Argument, das ins Feld zu führen ist, weitere historisch-kulturelle und politische Argumente kommen hinzu. Als Beispiel dafür, dass das geographische Element nicht ausschlaggebend sein kann, diene das Beispiel Spanien: Spanien wird jeder als einen europäischen Staat ansehen und definieren: trotz seiner afrikanischen Besitzungen Ceuta und Melilla. Genauso ist die Türkei trotz ihrer europäischen Restbestände aus den Gebietsbeutezügen der Osmanen keine europäische, sondern ausschließlich einen asiatische Macht!
Kulturell hat die Türkei nie zu Europa gehört, im Gegenteil: das kulturelle Europa mit seiner diffusen Identität hat sich in der gegnerischen Auseinandersetzung mit dem Osmanenreich gebildet: Die gemeinsame Abwehr der jahrhundertelang als existenzielle Bedrohung empfundenen „Türkengefahr“ bis zur letzten Belagerung Wiens, der Seeschalacht von Lepanto/Naupaktos (Griechenland) und dem Befreiungskrieg Griechenlands gegen die osmanische Herrschaft hat Europas Identität mit herausgebildet!
Die Bannung der „Türkengefahr“ wurde wegen ihrer ernsthaften Bedrohung der christlich-abendländi¬schen Staatengemeinschaft von vielen europäischen Mächten über Jahrhunderte als abendländische Gemeinschaftsaufgabe verstanden und wahrgenommen und wurde so auch mit identitätsstiftend für »Europa«; so identitätsstiftend, dass der niederländische EU-Kommissar Bolkestein den Erweiterungskommissar Verheugen nach seiner vorlauten Erklärung vor Abgabe des Fortschrittsberichts, nach dem Besuch Erdogans in Brüssel und dessen (dann eine Woche später umgesetztes) Versprechen, die türkische Strafrechtsreform binnen kürzester Zeit doch noch zu verabschieden, seien alle Beitrittshemmnisse aus dem Weg geräumt, angiftete: „Wenn es durch den EU-Beitritt der Türkei eine ’Islamisierung’ Europas gebe, … dann wäre die Abwehr der Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 „vergebens gewesen’“ (SPIEGEL 27.09.04).


Hans-Uwe Scharnweber




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