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Braucht Europa Grenzen?


04.02.2007 - 16.29 Uhr

Europa als "rein geografischen Begriff" anzusehen verkürzt das, was Europa ausmacht

Hans-Uwe Scharnweber

Es ist schon fast tragisch, dass der Autor keine Wertvorstellung von dem historisch-kulturellen Europa hat! Andere Völker hatten es, wenn sie von „Orient“ und „Okzident“, Abend- und Morgenland und ähnlichen Synonymen sprachen! Das waren für die Völker nicht nur ein paar Längen- und Breitengrade weiter liegende „gleiche Länder“. Der geistige Gehalt dessen, was „Europa“ von dem geistigen Gehalt unterschied, der ihre Gesellschaften ausmachte, war die die Unterscheidung tragende Identität der Europäer in ihrer europäischen Geistesentwicklung.
Zunächst war es eine auf dem römisch-katholischen Christentum gründende Grundgemeinsamkeit. Darüber hinaus gab es weiterführend die im Investiturstreit gipfelnde Trennung von weltlicher und geistlicher Macht, die vom römisch-katholischen Christentum geprägte höfische Kultur des abendländischen Rittertums mit ihrer Minnedichtung, die Entwicklung der europäischen Stadtkulturen mit ihren Münstern, Domen, Kirchen und dem freien Bürgersinn der besser gestellten ihrer Bürger mit der Verheißung: „Stadtluft macht frei“ für alle unter absolutistischer Gewalt Leidenden, die Städtebünde freier Bürger insbesondere der Hanse der europäischen Fernhandelskaufleute, die Befreiung des christlichen Glaubens aus dem zu eng gewordenen Korsett der römisch-katholischen Amtskirche im Norden und Nordwesten Europas durch die Reformation, die Befreiung des forschenden Geistes aus dem religiösen Kerker der Papstkirche und dadurch das Entstehen von die ganze übrige Welt in ungeheurer Weise befruchtender Wissenschaft in Europa, so dass, wer Wissen erlernen wollte, nicht mehr auf damals wesentlich weiter entwickelte »isla¬mi¬sche« Universitäten angewiesen war, die Lösung der Menschen aus dem kirchlichen Joch durch die Aufklärung und die Säkularisierung mit der Abschaffung der religiös begründet gewesenen Folter und der Entwicklung der Gedanken, die zur Französischen Revolution und deren zunächst nicht eingelösten Freiheitsversprechen geführt haben und als Quintessenz aus all dem die bis ins 20. Jahrhundert dauernde Entwicklung einer auf der Basis der Achtung der Menschenrechte gegründeten politischen Freiheit aller ihrer Bürger und einem effektiven Minderheitenschutz ruhenden, von Rechtsstaatlichkeit getragenen wirklichen Demokratie als die Teilhabe aller Bürger an der politischen Macht in dem Gemeinwesen, in dem sie lebten: Demokratie – und das heißt immer auch: Freiheit aller ihrer Bürger(!) - als das Geschenk des geistigen Europas an die Welt ist etwas viel anspruchsvolleres als der vom Autor behauptete „rein geographische“ Begriff „Europa“.


Hans-Uwe Scharnweber




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