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Braucht die EU eine Verfassung?


01.01.2007 - 19.08 Uhr

EU nach der Tradition der Hanse: Dies wäre das Aus für Europa

WolfgangBerkhan (Pseudonym)

Der Vorschlag von Herrn Köppel, die Ausgestaltung der EU nach dem "Vorbild" der mittelalterlichen Hanse vorzunehmen, gibt mir Gelegenheit, an die Ausführungen des grossen deutschen Nationalökonomen Friedrich List zum Thema "Hansa" (seine Schreibweise) zu erinnern. Ich kann sie in einem kurzen Kommentar natürlich nicht im Detail zitieren. Sie sind nachzulesen in "Friedrich List, Das Nationale System der Politischen Ökonomie, Erstes Buch (Geschichte)". F.L. befasst sich mit den Ursachen und Entwicklungen, die zum Niedergang der Hanse geführt haben: "Bei ihrem einseitigen Streben nach materiellem Reichtum hatten diese Städte die Beförderung ihrer politischen Interessen gänzlich vernachlässigt. Während der Zeit ihrer Macht schienen sie dem deutschen Reich gar nicht mehr anzugehören. Es schmeichelte diesen beschränkten, selbstsüchtigen und hochmütigen Bürgern, sich von Fürsten, Königen und Kaisern den Hof machen zu sehen und zur See die Souveräne zu spielen. ... als der Zepter der Meere ihren Händen entsunken, blieb ihnen nicht einmal Einfluss genug bei dem deutschen Reichstag, um ihren Handel als eine Nationalangelegenheit geltend zu machen. Im Gegenteil, die Aristokratie tat ihr möglichstes die Gedemütigten vollends zu unterdrücken. Die Binnenstädte fielen nach und nach unter die absolute Gewalt der Fürsten, und damit verloren die Seestädte ihre Verbindungen im Innern. ... All diese Fehler wurden in England vermieden, ... dort konsolidierten und vereinigten sich auf die glücklichste Weise die Interessen der Krone, der Aristokratie und der Gemeinen."

Und nun kommt bei Friedrich List etwas ganz Entscheidendes, nämlich die Verknüpfung der geschichtlichen Tatsachen mit der damaligen ökonomischen Theorie, repräsentiert durch den "Wealth of Nations" von Adam Smith. F.L. schliesst seine Ausführungen mit den folgenden Kommentaren und Fragen zum Thema "Hanse", behandelt durch Adam Smith: "Wie seltsam, dass Adam Smith bei einer so klaren Einsicht in die sekundären Ursachen des Verfalls der Hansa sich nicht bewogen gefühlt hat, die primitiven zu erforschen. ... Wie aber und warum konnte ein so tief forschender Geist sich abhalten lassen eine so interessante, eine so folgenreiche Untersuchung anzustellen? Wir sehen keinen anderen Grund als den, dass sie ihn auf Resultate geführt hätte, die sein Prinzip der absoluten Freiheit des Handels wenig zu unterstützen geeignet gewesen wären. Er hätte unfehlbar auf die Tatsache stossen müssen, dass ... die beschränkende Handelspolitik der englischen Nation auf Kosten der Hanseaten, der Belgier und Holländer, ihr zur Manufaktursuprematie verholfen hat, und dass aus dieser mit Hilfe der Navigationsbeschränkungen ihre Handelssuprematie erwachsen ist."

Das "Nationale System" von List ist 1844 erschienen. Was im neunzehnten Jahrhundert in Europa die "Nation" war, ist im Jahr 2007 die Europäische Union. Was damals "England" war, sind heute (noch) die USA. Was damals die Theorie war von Adam Smith, ist heute die "Theorie" (oder genauer: die marktwirtschaftliche Ideologie) von Milton Friedman. Und die Theorie von Friedman ist natürlich, genau wie im Fall der Hanse die damalige von Adam Smith, nichts als Sand gestreut in die Augen der naiven Politiker und Journalisten im Rest der Welt. Man sollte nicht übersehen, dass die derzeitige globale wirtschaftliche Vormachtstellung der Vereinigten Staaten von Amerika gestützt ist auf eine klare wirtschaftspolitische Strategie im Innern der USA, auf eine agressive Politik zur internationalen Ausbreitung amerikanischen Rechts und auf rund 800 Militärstützpunkte im Rest der Welt. Auch die neu aufstrebenden Mächte (Japan seit langem, jetzt auch China, Indien, Russland, ...) verlassen sich nicht auf die Wirtschaftsfreiheit sondern beruhen auf einer politischen Strategie. Kurzes Fazit eines notwendigerweise langen Kommentars: Die EU nach dem Muster der alten Hanse auszugestalten, das wäre nun wirklich das todsichere Rezept für ihren endgültigen Niedergang.





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