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Braucht die EU eine Verfassung?


24.03.2007 - 12.27 Uhr

Mehrere "Wege" in Europa

engeldinger (Pseudonym)

Zwar stand eine Verfassung oft am Beginn eines Weges, auf dem die in der Verfassung festgelegten Werte von der Bevölkerung übernommen und erlernt wurden, doch stand am Anfang der verfasungsgebenden Versammlung meist eine bereits gebildete Nation. Zumindest haben verschiedene Staatengruppen in Europa unterschiedliche historische Wege zurückgelegt.
In einigen Ländern ("idealtypisch" gesprochen) "machte" der Staat die Nation, in anderen strebte eine fremdbestimmte vermeintliche Nation danach, einen eigenen Staat zu schaffen. In einigen Ländern stürzte die Nation ein altes System, um sich in einer Verfassung eine neue Ordnung zu geben, in anderen Ländern dokumentierte die Tatsache, dass eine Versammlung ein solches Dokument verabschiedete, die Existenz einer Nation, die noch keinen Staat besass. Polen bewies durch seine Verfassung vom 3. Mai 1791, auf welchem hohen Stand sich seine Kultur befand, auch wenn die Verfassung niemals umgesetzt werden konnte.
Im Bewußtsein vieler Franzosen kann es keine Verfassung geben als die, die sich die französische Nation gegeben hat. Für die Franzosen ist es unvorstellbar, dass ein von fremden Regierungen eingesetzter Konvent - und nicht eine vom französischen Volk gewählte verfassungsgebende Versammlung - den Franzosen Regeln oktroyiert. So verstehe ich die Vorbehalte vieler Franzosen. Es besteht also ein Unbehagen gegenüber dem vermeintlichen demokratischen Defizit der europäischen Institutionen. Natürlich müssen die Franzosen eine ehrliche Debatte über ihre Ängste führen und die Frage beantworten, wie sie sich die Zukunft Europas vorstellen.

Europa ist zu grossen Teilen eine französische Idee, ohne die Änderung der französischen Politik gegenüber Deutschland nach 1950 wäre Europa niemals möglich gewesen. Natürlich traf Frankreich in Bonn auf Politiker, die diese Idee vorbehaltlos unterstützten, und indem sich Menschen aus Ländern, die sich 5 Jahre zuvor als Soldaten - und voller Hass - gegenüberstanden, gemeinsam an die Arbeit machten, gemeinsam wiederaufbauten und gemeinsame Werte schufen, lernten sie sich wirklich kennen und lernten sie, dass Europäer im Grunde ähnlich - oder gleich- sind. Heute vereint die EU fast alle dieser europäischen Länder, die sich im Ersten und Zweiten Weltkrieg feindlich gegenüberstanden.
Ob wir wollen oder nicht: Ohne Frankreichs Zustimmung und ohne Frankreich kann es Europa nicht geben, auch wenn viele Franzosen sich in dem Plebiszit nicht als besonders reif erwiesen haben!




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