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Braucht Europa Grenzen?


02.01.2007 - 17.14 Uhr

Nur das Universum ist - vermutlich - grenzenlos

Hans-Uwe Scharnweber

Die Frage lautete: „Braucht Europa Grenzen?“ und Berger vertritt die Contra-Position, dass Europa keine Grenzen brauche, merkt aber nicht, dass er sich selber widerspricht! „Die Aussicht auf den EU-Beitritt hat die Länder diszipliniert, …“, schreibt er. Doch eine AUSSICHT AUF EINEN EU-BEITRITT kann es nur geben, wenn es ein Draußen und ein Drinnen und damit Grenzen gibt! „Die Stärke der Europäischen Union ist ihre Ausstrahlung nach außen, die Sehnsucht der Nachbarn, dazuzugehören.“ Auch dieser Satz ist nur dann logisch, wenn es ein Draußen und ein Drinnen und damit Grenzen gibt!
Die Frage kann also höchstens sein: „Wo können die Grenzen der EU sinnvoll gezogen werden? Und dazu sollten wir zunächst einmal „EU“ ausschreiben: „EUROPÄISCHE Union“. Die EU ist nicht die UNO mit ihren anders gesteckten Zielen, sondern schon vom Namen her eine auf EUROPA begrenzte Vereinigung. „Politische Stabilität in Europa, das ist die wichtigste Aufgabe der EU.“ Sehr richtig! An Europas die Menschenrechte achtendem demokratischen Wesen kann ruhig „die Welt genesen“ – ohne dass wir Europäer den Anspruch erheben dürften, die einzigen Demokraten in der Welt zu sein: Ich werde doch z.B. den Australiern, Neuseeländern und Kanadiern nicht absprechen, die gleichen hehren Ziele zu verfolgen, die ein Geschenk Europas an die Welt sind: ohne dass damit einer Aufnahme dieser Länder in die „EUROPÄISCHE Union“ das Wort geredet würde: das wollen wir Europäer nicht und von »den Australiern/Neuseeländern/Kanadiern« habe ich bisher auch keinen solchen Unsinn gehört.
Marokko war der Beitrittswunsch mit dem Argument verwehrt worden, es sein „KEIN EUROPÄISCHES Land“. Das ist geographisch, historisch, politisch, kulturell und ideengeschichtlich richtig, trifft aber auch auf andere Länder zu, die offen - siehe die Türkei - oder bisher noch verdeckt – siehe Syrien, Palästina und andere arabische Länder – in die EU drängen. Was ist dann aber noch die „EUROPÄISCHE Union“, wenn sie sich über Vorderasien bis an die Grenzen des Iran erstrecken würde? Sie kann dann nur noch eine Freihandelszone sein. Wer aber auf Europa größere Hoffnungen als auf ein Wirtschaftsbündnis setzt, wer als wahrer Europäer ein starkes Europa will, der muss für Grenzen und eine Begrenzung Europas auf Europa sein!
Bezogen auf den »dicksten Brocken« in der Diskussion um die ausufernde Erweiterung der EU gilt: die Türkei ist trotz interessegeleiteter, wahrheitswidrig aufgestellter gegenteiliger Behauptung kein europäisches Land:

1. Nur 3 % der Türkei gehören als Restbestand früherer Eroberungen des osmanischen Reiches der „Hohen Pforte“ auf dem Balkan geographisch zu Europa. Dieser europäische Gebietsrest rechtfertigt es nicht, »die Türkei« geographisch als Europa zugehörig zu betrachten – wie Spanien trotz seiner beiden in Afrika liegenden Städte kein afrikanisches Land ist. »Die Türkei« ist trotz des nach Europa hineinragenden Gebietszipfels das westlichste Land Asiens - und nicht das östlichste Land Europas.

2. Wenn die mit zunächst rein wirtschaftlicher Zweckrichtung gegründete und agierende EWG und EG sich inzwischen nicht mehr als politische Gemeinschaft EU versteht und sich darum (auch) durch einen inneren Zusammenhalt definieren und nicht nur eine wirtschaftliche Zweckgemeinschaft darstellen soll, dürfen nur europäische Länder, die mehr oder minder stark verbunden sind durch europäische Kultur, Tradition, Geschichte und Lebensgefühl, Mitglieder in einer Europäischen Union sein. Als (inner-)europäisches nicht mehr rein wirtschaftlich, sondern auf politische Supranationalität ausgerichtetes Staatenbündnis mit dem (Fern-)Ziel der weiteren staatlichen Integration – gleichgültig ob als »Vereinigte Staaten von Europa«, »Europäischer Bundesstaat«, »Staatenbund«, ein »Europa der Regionen« oder als »Differenzierte Integration« - kann die Europäische Union per Definition nicht außereuropäische Staaten mit annähernd gleichen Zielen und Werten und annähernd gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufnehmen, da sie sonst nicht mehr europäisch wäre. Lange militärische Verbundenheit - mit »zufälliger« Einbindung in die NATO - im weltweiten Kampf gegen den aggressiven Weltkommunismus rechtfertigt keine Zugehörigkeit zu Europa, denn dann würden auch alle Staaten der SEATO zu Europa gehören müssen.

3. Die gemeinsame europäische Kultur wird (auch) sichtbar in »Kleinigkeiten« wie zum Beispiel in der Musikkultur: Wie viele Touristen erfreuen sich der ihnen »normal« erscheinenden Musik, wenn sie nach einem Urlaub aus einem anderen Kulturkreis nach Hause kommen.

4. Der historische und ideengeschichtliche Blick auf das Werden der gemeinsamen europäischen Kultur und damit das Ent¬stehen der Identität Europas: Wie der westliche Teil Asiens vorherrschend vom Islam und der östliche u.a. von Buddhismus und Hinduismus geprägt sind, so ist Europa ganz entscheidend vom Christentum geprägt: Urbarmachung und Kolonisierung Europas sind eine gesamteuropäische Leistung insbesondere der christlichen Orden. Der Aufbau Europas und die gesamte europäische Kultur des Mittelalters ist ohne Christentum nicht denkbar. Antike und Christentum bilden das Fundament der europäischen Identität. Die höfische Kultur, die Entwicklung des freien Bürgersinns in den Städten, Aufklärung, Humanismus, Säkularisierung, die Befreiung des forschenden Geistes aus dem religiösen Kerker der Papstkirche, Reformation und die Entwicklung der Menschenrechte im Kampf um Freiheit vor staatlichen Übergriffen, die Abschaffung der Folter, die Entstehung der Demokratie und des Rechtsstaates sind europäische Errungenschaften, an deren Entwicklung die Türkei keinerlei Anteil hatte, die sie aber im Eigeninteresse übernehmen sollte.

5. Die Auseinandersetzung mit dem Islam, der Abwehrkampf in Spanien, Frankreich, Griechenland und auf dem Balkan bis vor Wien hat entscheidend zu der Entwicklung eines europäischen »Wir-Gefühls« und damit zur Bildung einer europäischen Identität beigetragen.

6. In Europa (nicht in islamischen Ländern) hat es eine Aufklärung gegeben, die zu der gemeinsam anerkannten und praktizierten Lebenshaltung der Europäer führte, dass Religion und Staat zu trennen seien, Religion Menschen nicht gängeln dürfe, sondern reine Privatsache zu sein habe.

7. Eine Annäherung der Türkei an bis dato völlig fremde kulturelle Werte einer realisierten Demokratie und Menschenrechte ist keine Teilhabe an deren identitätsstiftendem kulturellen Werden! Die offiziell proklamierte (aber schon durch die Institution des Religionsministeriums mit über 90.000 Beschäftigten – der Historiker Winkler spricht von einer „Verstaatlichung des Islam“ - letztlich nicht vollzogene) Trennung von Staat und Religion ist begrüßenswert, aber kein Argument für notwendigerweise eine Vollmitgliedschaft in der EU: dann könnten genauso Japan, Süd¬afrika und Chile beitreten.

Das Gremium, in dem alle Staaten vertreten sein sollten, ist die UNO, nicht aber die EU! Wir Europäer drängen uns ja auch nicht in die Organisation der afrikanischen Staaten AU oder andere regionale Zusammenschlüsse! Warum sollten wir dann außereuropäische Staaten in die EU aufnehmen, aufnehmen müssen?

Soweit »in Kürze«. Wer sich detaillierter mit dem Problem auseinandersetzen möchte, der ist eingeladen, sich auf meiner Website

http://www.hans-uwe-scharnweber.de/downloads/publikationen/Politisches/EU_Tuerkei_Langfassung_mit_Gliederung.doc

zu informieren, wo unter dem Titel

„EU-Beitritt Türkei? EU-Erweiterungsdebatte Türkei:
Warum die Türkei nicht in die EU gehört
Ausarbeitung und Dokumentation ausgewählter - vom Autor kommentierter – Medienberichte“

die wichtigsten mir erreichbaren Artikel pro und contra grenzenlose Erweiterung der EU über Europas Grenzen hinaus zusammengefasst sind und kommentierend bewertet werden.

Hans-Uwe Scharnweber




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