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2. Runde: Braucht die EU eine Verfassung?


20.06.2007 - 15.00 Uhr

Katholizismus ist keine Lösung

el_crocodilo (Pseudonym)

Der Autor Gregorius versteigt sich zu der unqualifizierten Behauptung:

„Nach der 500jährigen Spaltung durch die Reformation wäre nach der 50 Jahrfeier der europäi-schen Einigung eigentlich eine Rückkehr zur Einheit Europas aus dem Geist Athens, Israels und Roms wünschenswert. Aber es scheint, daß der Kampf gegen das Judentum zwar beendet ist, der Kampf gegen Rom aber speziell in Deutschland immer noch vom protestantischen Geist weiter geführt wird, wie sich in Fragen der Homoehe, der Abtreibung, des Antidiskri-minierungsrechts etc. zeigt. War der protestantische Geist im Wilhelminischen Reich ganz auf die Errichtung eines heiligen evangelischen Reichs und im I. Weltkrieg auf die Durchsetzung der Vorherrschaft dieses Reichs mit seinem Kampfruf "Ordnung und Innerlichkeit“, so im Dritten Reich auf die Errichtung einer judenfreien Welt im Inneren und Äußeren, so nach dem II. Weltkrieg auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft und heute auf die Errich-tung einer feministisch-ökologistischen Gesellschaft. Heute ist sogar in die katholische Kir-che Deutschlands der Geist der Protestantismus selbst eingedrungen, deren progressive Teile die Protestantisierung der katholischen Kirche fordern: Aufhebung des Zölibats, Zulassung von Frauen zum Priestertum, Abschaffung des Papsttums und damit des Lehramtes der Kir-che, gemeinsames Abendmahl, Ablehnung der Globalisierung und Propagierung von Umwelt- und Klimaschutz, von Abtreibung, Homoehe und Euthanasie“

Er behuptet, dass der Protestantismus den Nationalsozialnis verursacht habe und für alles möglich verantwortlich sei - von der Abteibung bis hin zum Völkermord.

Der v. g. Kommentator lobt anfänglich die Demokratie Amerkas, die sich in Deutschland bis zum Ende des 2. Weltkrieges nicht habe dauerhaft durchsetzen können. Er sieht Deutschland vom Protestantismus „verhext“ Will er denn nun alle Protestanten auf den Scheiterhaufen Schicken? Die von ihm so hochgelobten USA sind das Paradebeispiel einer protestantischen Nation. Denn die Gründerväter jenes Staates waren Glaubensflüchtlinge aus Europa: Calvinisten, Menoniten, Quäker, Lutheraner und Reformierte. Aber auch Anglikaner kamen dazu. Was ihnen gemeinsam war, war die Erfahrung von Verfolgung und Unterdrückung aus politischen oder religiösen Gründen.

Es war das vom Autor vielgeschmähte Preußen, dass in Deutschland der Idee der Religionsfreiheit endgültig zum Siege verhalf und nicht etwa das katholische Bayern!! Die evangelischen Franzosen – Hugenotten genannt – kamen denn auch nach Preußen und bereicherten das Land mit ihrem Wissen und Können. Ganz Deutschland wurde dadurch letztendlich innovativ nach vorne katapultiert. Der Gedanke, dass Fleiß und Arbeit das Schicksal eines Menschen bestimmen können und aus dem ärmsten einen reichen oder zumindest wohlhabenden machen können, entspringt dem Calvinismus und den Lehren der Lutheraner und Reformierten (Zwingli). Die oft gescholtene Disziplin ist ebenfalls eine daraus entspringende Tugend, ebenso die Treue. Stehen Disziplin und Treue im Dienste der Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit, so entsteht ein wirtschaftlich gesundes und geachtetes, friedliches Gemeinwesen. Stehen sie aber im Dienste von absoluten Ideen – gleich welcher Art – werden sie zu Stabilisatoren einer Diktatur. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts – die ja durch ein gemeinsames Europa beseitigt werden sollen – sind nicht etwa aus dem Protestantismus erwachsen, sondern aus der Tatsache, dass die Menschen sich jeglicher verpflichtenden Religion im Laufe des 19. Jahrhunderts entzogen haben. Es ist eben nicht der Geist des Protestantismus, sondern der des Atheismus und Darwinismus der zu den Katastrophen geführt hat. Denn die wahnsinnige Ideologie des Nationalsozialismus ist eine Rassenideologie, die der Protestantismus nicht kennt. Rassismus ist auch nicht biblisch geboten (vgl. Brief des Paulus an die Römer, Kap. 8). Wenngleich sich auch viele der Evangelischen Kirchen Hitler unterordneten und ihm bis zuletzt folgten, so gab es im Untergrund doch eine starke „bekennende Kirche" um Dietrich Bonhöfer und Niemöller. Die Offiziere, die gegen Hitler am 20. Juli das Attentat versuchten, waren zum großen Teil – wenn nicht sogar ausschließlich – eveangelisch.

Auch die evangelischen Kirchen (die evangelische Kirch als solche gibt es nicht) lehnen „aktive Sterbehilfe“ und „Euthanasie“ ab. Die EKD lehnt auch die Abtreibung ab. Natürlich gibt es viele unterschiedliche Stimmen unter den Protestanten. Denn der Segen der Meinungsfreiheit in der Kirche ist zugleich auch ihr Fluch, wel nur schwer ein verbindlicher Kanon festgelegt werden kann. Da haben es die Evangelikalen einfacher. Die Judenverfolgung im „Dritten Reich“ kann sich nicht auf die Bibel berufen. Der Protestantismus aber wurzelt in der Bibel. Jeder, der Völkermord rechtfertigt entfernt sich von der biblischen Botschaft und ist damit kein Protestant mehr. Dem Protestantismus also die Judenverfolgung vorzuhalten, ist nicht sachgerecht, zumal sehr viele – ja viel zu viele Katholiken – dabei mitgemachten.

Im ach so katholischen Bayern war die NSDAP mit am stärksten. München hatte die offizielle "Ehren-"Bezeichnung „Hauptstadt der Bewegung“ und Hitler selbst war sein Leben lang Mitglied der katholischen Kirche und wurde nicht exkommuniziert, obgleich er für den Tod von Millionen verantwortlich war. Als Hitler 1938 in Östereich mit der Wehrmacht einzog, wurde er frenetisch von der Bevölkerung gefeiert. Österreicher hatten überhaupt keine Probleme in der Hierarchie des Staates oder der NSDAP aufzusteigen. Österreich aber war und ist mehrheitlich katholisch!

Alle Vorwürfe die der Autor gegen den Protestantismus erhebt fallen mit doppelter Wucht und Hörte gegen den Katholizismus, den er doch zu verteidigen und propagieren versuchte, zurück.

Auch beim Aufblühen der Wissenschaften - insbesondere der Astronomie - hat die katholische Kirche alles Versucht, um sie zu nterdrücken (Galileo Galilei). Alle Kreuzzüge wurden ausschließlich von der katholischen Kirche geführt - noch nicht einmal von den orthodoxen Kirchen. Hexenverfolgungen sind - wenngleich sie auch unter den Protestanten nachahmer fanden - ursprünglich eine katholische Erfindung.

Die angeprangerte Kinderarmut ist nicht allein auf das angeblich so protestantische Deutschland, das doch eher atheistisch oder moslemisch ist, beschränkt. In Italien und Spanien findet sich das gleiche Phänomen – und diese Länder haben eine mehrheitlich katholische Bevölkerung.

Der Protestantismus hat die Grundlagen für Freiheit und Demokratie in Europa gelegt - s. dazu meinen extra Kommentar.

Möge dem Protestantismus auch künftig Erfolg beschieden sein!!

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