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Freihandelszone oder politische Union?


06.01.2007 - 15.10 Uhr

Der Weg zur politischen Union: ein dynamischer Prozess

WolfgangBerkhan (Pseudonym)

Was mir bei den Gegnern einer politischen Union vor allem ins Auge fällt, ist ihr vielfach fehlendes Geschichtsbewusstsein und ihr mangelndes Verständnis für die europäische Einigung als eines politischen Prozesses, für den es in der Geschichte praktisch kein Beispiel und kein Vorbild gibt. Europa als dynamischer politischer Prozess mit offenem Ausgang, lediglich getragen von allgemeinen Zielen und Grundsätzen, vom guten Willen seiner Politiker und von wirtschaftlichen Interessen, die manchmal zugegebenermassen zu sehr im Vordergrund stehen. Im weiteren haben die Gegner Europas ein offenbar unbegrenztes Vertrauen in die Basisdemokratie, das mir im Licht unserer historischen Erfahrung in keiner Weise gerechtfertigt erscheint. Betrachten wir einmal einige gegnerische Argumente etwas anders:

"Europa weiss nicht, was es ist und wohin es will" Ja eben, dies liegt in der Natur der Sache, die politische Finalität Europas ist offen, Europa befindet sich im Wandel. Aber gerade deshalb ist die Form der politischen Zusammenarbeit in Europa auch gestaltbar, und es sind die Bürger der europäischen Nationen selbst, die sich darüber klar werden müssen, wohin die Reise geht. Dazu müssen sie aber zunächst einmal lernen, europäisch zu denken.

"In Europa fehlen die checks and balances", es wäre daher besser, Europa auf eine blosse Freihandelszone zu beschränken." Aber worin bestehen denn in einer von global operierenden Unternehmen beherrschten Welt die checks and balances einer Freihandelszone? Es gibt sie überhaupt nicht.

"Europa war 50 Jahre lang (vom ehemaligen Jugoslawien abgesehen) friedlich. Aber nicht dank der Europäischen Union, sondern nur dank der NATO" Aber darf und soll dies so bleiben? Muss nicht gerade Europa selbst in der Lage sein, im eigenen Haus Ordnung zu schaffen? Wir verdanken den Amerikanern viel. Aber ihr Gebrauch der NATO für ihre aussereuropäischen Kriege wird zunehmend fragwürdiger. Europa kann und darf sich nicht darauf beschränken, nur die Hilfstruppen für eine amerikanische Politik zu liefern, die sich in zunehmendem Masse als problematisch erweist. Und was sind 50 Jahre Frieden in Anbetracht von 2000 Jahren Geschichte, in der der Krieg immer ein normales Instrument der Politik gewesen ist?

"Die EU ist ein pseudo-demokratisches Gebilde. Sie macht Währungspolitik, ohne dass sie dadurch per Volksabstimmung legitimiert wurde. Sie gibt die Rechte ihrer Bürger preis, etwa bei Reisen in die USA. etc. etc." Solange Europa keine klare, transparente Verfassung besitzt, kann es in vielen praktischen Fragen der europäischen Politik gar kein anderes Vorgehen geben. Der globalwirtschaftliche Erfolg des Euro macht deutlich, wie notwendig die Einführung einer gemeinsamen Währung war und ist. Und gerade in Sachen Reisefreiheit zeigt sich, wie wenig Europa immer noch den Vorgaben und Befehlen der führenden Grossmacht entgegenzusetzen hat.

Fast jedes Argument der Gegner einer europäischen politischen Union erweist sich bei näherem Zusehen als ein Grund, diese Union ganz dringend herbeizuwünschen und politisch anzustreben. Weder werden die nationalen Parlamente bei diesem Prozess verschwinden, noch werden Iren und Sizilianer im "europäischen Einheitsbrei" untergehen. Nicht die Idee eines "europäischen Bundesstaats" nach dem Muster der USA hat sich "überlebt", sondern es sind die Nationalstaaten, die vor den gewaltigen Herausforderungen der Zukunft auf sich allein gestellt niemals werden bestehen können. Auch wird mit dem staatsrechtlichen "Modell der USA" ein Popanz aufgebaut, das auf Europa ohnehin nicht übertragbar ist.




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