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Braucht die EU eine Verfassung?


12.01.2007 - 19.45 Uhr

Kritik an Inhalt in Umfang

Reinhold Harder

Es gibt viele Gründe, warum die EU-Verfassung in der jetzigen Form nicht in Kraft treten darf.

Hier nur einige :

1. Mit ihren 448 Artikeln und den Protokollen auf insgesamt 482 Seten ist die Verfassung für keinen Bürger der EU zu überschauen und auch nicht zu verstehen. Schon in ihr manifestiert sich die gnadenlose Regelungswut für alles und jedes, was auch nachrangig geregelt werden könnte. Wer von denen, die sie unterzeichnet haben, hat das jemals alles gelesen?

2.Das Gesetzgebungsverfahren ist chaotisch, die Gewaltenteilung unklar. Das einzige direkt gewählte Organ, nämlich das Europäische Parlament, darf außer in definierten Ausnahmefällen selber keine Gesetze einbringen. Nur die Kommission darf das, warum? Was ist daran demokratisch?

3.Am Anfang (Artikel 34) wird bestimmt, dass Parlament und (Minister-) Rat Gesetze und Rahmengesetze gemeinsam erlassen. Dann folgen viele Artikel mit Inhalten, bei denen das Parlament lediglich gehört wird.

4.Artikel 41: „die Mitgliedsstaaten verpflichten (!) sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Ist das der Inhalt des Fortschritts, von dem - ziemlich unreflektiert im Übrigen - in der Präambel die Rede ist? Bei Militäreinsätzen wird auch hier das Parlament nur gehört und - man glaubt es kaum - „auf dem Laufenden gehalten.“ (!) (Absatz 8). Von einem Ziel, in Zukunft mit weniger Waffen auszukommen, ist nicht die Rede.

5.Der Europäische Agrarmarkt hat mit ‚Markt’ nur insofern zu tun, als er den Europäischen Agrarprodukten auf dem Weltmarkt erhebliche Vorteile verschafft - mit verheerenden Folgen für die jeweiligen heimischen Märkte - wie jeder weiß. Und dass durch Marktwirtschaft und Wettebewerb ein „effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert“ wird, wie es in Artikel 178 lapidar festgestellt wird, triff nicht zu, wie jedermann sehen kann. Derlei Feststellungen (noch dazu evident falsche!) haben ebenfalls in einer Verfassung nichts zu suchen.

7.Das Prinzip der Sozialstaatlichkeit, das im Grundgesetz der BRD verankert ist, fehlt in der EU-Verfassung in dieser eindeutigen Form. Wie soll da mehr „soziale Wärme“ entstehen?

8.Schließlich wird das für die Zukunft völlig untaugliche marktwirtschaftlich-kapitalistische Wirtschaftssystem festgeschrieben. Welches Wirtschaftssystem gelten soll, ist nicht Sache einer Verfassung. Damit sind alle Bürger a priori Verfassungsfeinde, die nach (notwendigen) Alternativen suchen. In der Verfassung der Bundesrepublik wurde offenbar mit Absicht darauf verzichtet, das Wirtschaftssystem selber festzuschreiben.

Diese Verfassung ist vielleicht eine genüßliche Lektüre für Juristen, aber das darf ja wohl nicht gemeint sein.

Zur Beförderung eines „Wir-Gefühls“ der Europäer ist diese Verfassung denkbar ungeeignet. Solche Formulierungen sind angesichts des vorliegenden Textes geradezu grotesk!

Wenn schon eine Verfassung überhaupt notwendig sein soll, was ich nicht glaube, dann eine, die so knapp ist, dass jeder sie lesen und verstehen kann. Der Rest kann dann in den vorgesehenen Verfahren geregelt werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass jeder EU-Bürger mit der Verfassung bekannt gemacht wird.

Dann erst sollte von allen Bürgern Europas unter demokratischen und gleichen Bedingungen (z.B. gleiches Lebensalter für Stimmberechtigung usw.) an ein und demselben Termin über die Verfassung abgestimmt werden.

Reinhold Harder







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