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PRO: Von Jochen Spengler

Wir brauchen europäischen Gemeinsinn

spengler21.jpgDer ehemalige Deutschlandfunk-Korrespondent in Brüssel arbeitet heute als Zeitfunk-Redakteur des Kölner Informationssenders.

Mehr Macht für Europa, weniger für die Nationalstaaten! Weil die Erde leidet, weil wir leiden. Unter Klimawandel und Kriegen. Unter Terror, Verbrechen und Ungerechtigkeit.

Welches dieser Probleme könnte heute ein Staat aus eigener Kraft lösen? Deutschland etwa? Würden wir uns - nur auf uns gestellt - behaupten können gegen Billigimporte, multinationale Konzerne und Sozialdumping? Wer glaubt das?

Nein, wir benötigen keinen Nationalstaats-Egoismus, sondern europäischen Gemeinsinn. Den Nationalstaat alter Prägung wird es auch künftig geben; wir bleiben auf ihn angewiesen - nicht nur unserer Sprache und Identität wegen. Aber er sollte immer unwichtiger werden. Warum nach den zwei Weltkriegen der Nationalstaaten nicht träumen vom 21. Jahrhundert als dem Jahrhundert Europas - warum nicht träumen von den Vereinigten Staaten von Europa?

Was die EU bislang geschafft hat, ist beachtlich: Wohlstand und Frieden seit Jahrzehnten. Die Schlachtfelder von heute sind Brüssels Konferenzsäle. Gut so!

Und doch muss Europa mehr leisten. Nicht den Krümmungsgrad von Gurken sollte es berechnen, sondern es muss die großen Aufgaben unserer Zeit anpacken.

Die dürfen wir nicht der Kleinstaaterei überantworten. Wohin das führt, demonstrieren Deutschlands Landesfürsten bis zum Überdruss: Lähmung, Ineffizienz, Stillstand, Bürokratie. Mit der deutschen Krankheit des übersteigerten Föderalismus dürfen wir nicht auch noch Europa anstecken!

Also alle Macht den (Minister-)Räten und Bürokraten? Bitte nicht! Wir brauchen eine demokratischere EU. Eine Union der Bürger mit einer abwählbaren Regierung, einem Außenminister, einem demokratisch legitimierten, repräsentativen Parlament, einer Verfassung - und mit Menschen, die sich dafür einsetzen.

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CONTRA: Heribert Prantl

Die EU-Gesetzgebung gefährdet die Demokratie

PrantlSZ4.jpgDer Autor ist Ressortleiter Innenpolitik der "Süddeutschen Zeitung".

Noch mehr Macht für Brüssel führt zur Ohnmacht der Demokratie: Wichtige Entscheidungen sind schon jetzt weit, sie sind immer weiter vom Bürger weggerückt. Mehr Europa durch weniger Demokratie – das aber ist ein grundlegend falsches und hoch gefährliches Motto.

Die europäische Gesetzgebung hat schon jetzt ein demokratie-gefährliches Ausmaß erreicht: Die EU-Kommission (das sind 27 Kommissare, darunter ein deutscher) bereitet die Verordnungen,  Richtlinien und Rahmenbeschlüsse vor; diese werden dann vom Rat (also den Regierungen der Mitgliedsstaaten) verabschiedet; das Europäische Parlament spielt eine Nebenrolle, bisweilen auch gar keine; und der Bundestag hat allenfalls die Rolle eines Notars, der Gesetze stempelt und unterschreibt. So kommen schon derzeit fast achtzig Prozent aller in Deutschland geltenden wirtschaftlichen Regelungen im Bereich der Wirtschaft zustande. Auf diese Weise wird der Bundestag zum Schrumpfparlament und Deutschland zur Schrumpfdemokratie.

Die real existierende Gewaltenteilung in Europa ist die Verhöhnung eines demokratischen Grundprinzips. Sie sieht nämlich so aus: Die Regierungen der Mitgliedsstaaten teilen sich die Macht und lassen sich möglichst von niemand kontrollieren. So lange das so ist, kann die europäische Gesetzgebungskompetenz nicht noch weiter ausgebaut werden.

Die Spitzenvertreter der nationalen Regierungen erklären entweder, dass man „gegen die in Brüssel“ nichts machen könne, oder dass man halt „ein guter Europäer“ sein müsse. Wie Zeus in der griechischen Mythologie schlüpfen die Regierungen in die Gestalt, die ihnen gerade passt: zu Hause sind sie Exekutive, in Brüssel Legislative. Und die Parlamente sind überwiegend Zuschauer dieser Verwandlungsnummer. Die demokratische Legitimationskette hält also derzeit noch mehr Macht für Brüssel nicht aus.

Europa ist kein platter Kontinent. Brüssel darf daher nicht zur Dampfwalze werden, die alles platt macht. Europa ist wie ein bunter Garten. Europa muss Einheit in Vielfalt sein – nicht Einheit in Einfalt.

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Aristokratie (0) Uwe Köhler , 28.01.2010 - 16.40 Uhr
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