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PRO: 2. Runde Martin Winter

"Europa braucht einen inneren Zusammenhalt"

Die Klagen der Politik über das Desinteresse der Europäer an europäischen Fragen ist meist laut - und fast immer falsch. Was Umfragen unter den Bürgern der EU regelmäßig belegen, zeigt nun auch die lebhafte Debatte über die Grenzen der Union in diesem Euroblog.

Die Meinungen sind geteilt, aber allemal engagiert. Bei denen, die Pro und jenen, die Contra argumentieren fällt freilich auf, dass bei einigen ein falsches Verständnis darüber mitschwingt, was Grenzen in unserer Zeit und in der europäischen Wirklichkeit bedeuten. Der Europäischen Union klare geographische Grenzen zu ziehen, heißt nicht, neue Gräben auszuheben. Mit ihrer Politik, mit beinahe allen Ländern der Welt ein Netz aus Kooperationsverträgen zu schließen, in denen es nicht nur um Wirtschaft, sondern auch um Demokratie und Menschenrechte geht, demonstriert die EU wie kaum eine andere große Macht Offenheit.

Nein, die EU braucht keine Grenzen um sich abzugrenzen, sondern um sich ihrer selber zu versichern. Und sie braucht Grenzen, um die Kraft aufzubringen, ihre Rolle in einer sich verändernden Welt zu finden.

Wäre die EU eine reine Freihandelszone, dann könnte sie beliebig ausgedehnt werden. Aber als eine Gemeinschaft, die von der Wirtschaft über die Währung inzwischen bis in die Außen- und Innenpolitik hineinreicht, braucht sie einen inneren Zusammenhalt. Und sie braucht die Zustimmung ihrer Bürger. Die aber würden schon gerne wissen, wer diese EU ist und wer ihr politisches Handeln bestimmt. Eine Antwort entlang der Melodie: Jetzt sind wir 27, aber bald vielleicht schon 30 und könnten auch noch die Türkei und die Ukraine ... schafft unter den Bürgern Misstrauen. Von einem Europa, dessen geostrategische Abenteuer nicht abzusehen sind, werden sich die Menschen ab- und wieder ihren nationalen Nestern zuwenden. Das schwächt die EU und kann sie am Ende ruinieren.

Thesen 1. Runde: Braucht Europa Grenzen?

winter21_01.jpgDer Autor ist Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Brüssel.
CONTRA: 2. Runde Alois Berger

"Gute Argumente für ein begrenztes Europa - und dagegen"

Welches Europa wollen wir, was soll die Europäische Union leisten, wozu brauchen wir die EU? Das sind die Kernpunkte, aus denen sich auch die Antworten auf die Frage ergibt, ob Europa Grenzen braucht. In den zahlreichen Blogzuschriften finden sich sehr gute Argumente für ein begrenztes Europa – und sehr gute Argumente dagegen.

Die Zuschriften spiegeln in etwa die Meinung der Bevölkerung wider. Eine Mehrheit möchte, dass Schluss ist mit den Erweiterungen und dass schon die Türkei nicht mehr aufgenommen wird - trotz der Zusagen, die das Land seit vielen Jahren hat.

Der Wunsch ist verständlich, ich teile ihn sogar. Mir wäre es auch lieber, wenn die Europäische Union entscheiden könnte: Jetzt ist es genug, von nun an bemühen wir uns um gute nachbarschaftliche Beziehungen, aber Beitritte gibt es nicht mehr. Dieser Wunsch entspringt einer tiefen Sehnsucht nach Ruhe, nach einem Gefühl von Heimat. Wie soll man in Europa zuhause sein, wenn man nicht weiß, wo dieses Europa aufhört?

Allerdings verträgt sich dieser Wunsch nicht mit den Ansprüchen, die wir an Europa haben. Wir erwarten von der EU schließlich nicht nur, dass sie die Verteilung der Milchquoten regelt und das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Sie soll vor allem dafür sorgen, dass es in und um Europa ruhig bleibt. Wir wollen keine Kriege vor der Haustür und keine Flüchtlingsströme. Deshalb wurde die EU einst gegründet, und sie war dabei so erfolgreich, dass wir die Gefahren fast vergessen haben. Erst die Jugoslawienkriege haben uns wieder daran erinnert.

Es gibt noch viele Brandherde rund um die EU. Wir werden sie nicht alle dadurch löschen können, dass wir die Länder in die EU aufnehmen. Aber noch weniger können wir es uns leisten, diesen Ländern jegliche Hoffnung zu rauben, dass sie irgendwann dazugehören werden.

 Der Bauch sagt: "Europa braucht Grenzen". Der Kopf sagt: "Nein".

 Thesen 1. Runde: Braucht Europa Grenzen?

berger21_01.jpgDer Autor ist freier Journalist in Brüssel.

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Membran (0) Uwe Köhler , 28.01.2010 - 16.10 Uhr
Ein gutes 2008 (0) Waskow (Pseudonym), 30.12.2007 - 11.08 Uhr
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